Systemische Therapie



Was ist Systemische Therapie?

Probleme entstehen oft nicht bei einer einzelnen Person, sondern im Zusammenspiel mit dem Umfeld wie der Familie, dem Freundeskreis oder am Arbeitsplatz. Die Systemische Therapie setzt genau an diesen Beziehungen an. Sie zählt zu den anerkannten psychotherapeutischen Verfahren und betrachtet psychische Schwierigkeiten nicht als isoliertes Problem, sondern als Ausdruck eines größeren Zusammenhangs. Familie, Partnerschaft, Freundeskreis, Kolleginnen und Kollegen sowie andere wichtige Bezugspersonen bilden gemeinsam ein System, in dem alle miteinander verbunden sind und sich gegenseitig beeinflussen.

Wenn es an einer Stelle dieses Systems hakt, hat das oft Auswirkungen auf alle anderen. Auffällige Verhaltensweisen oder psychische Symptome werden in der Systemischen Therapie daher nicht nur als Problem des Einzelnen gesehen, sondern als Hinweis darauf, dass im gesamten System etwas aus dem Gleichgewicht geraten ist – auch wenn das den Beteiligten meist nicht bewusst ist. Illustration 1
 

Ursprung und Anerkennung

Die Wurzeln der Systemischen Therapie liegen in der Familientherapie der 1950er-Jahre. Damals begann man, psychische Beschwerden nicht mehr nur als individuelles Problem zu betrachten, sondern auch als Folge von belastenden Beziehungsmustern innerhalb der Familie. Dieses Denken wurde im Lauf der Zeit weiterentwickelt und auch auf andere Lebensbereiche übertragen, zum Beispiel auf Freundeskreise, Paare oder Arbeitsteams. Heute ist die Systemische Therapie ein eigenständiges, wissenschaftlich anerkanntes Verfahren, das mit Einzelpersonen, Paaren, Familien oder Gruppen durchgeführt werden kann. Seit dem 1. Juli 2020 übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland bei gegebener Indikation die Kosten für systemische Psychotherapie bei Erwachsenen
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Wie untersucht die Systemische Therapie Probleme?

Die Systemische Therapie schaut genau auf die Beziehungen, Rollen und Kommunikationsregeln innerhalb eines Systems – das kann die Familie sein, die Schule oder das Arbeitsumfeld. Gemeinsam mit den Betroffenen wird erforscht, wie die Menschen in diesem System miteinander umgehen, welche unausgesprochenen Erwartungen bestehen und welche Dynamiken möglicherweise dazu beitragen, dass Probleme bestehen bleiben.

Ein besonderes Merkmal der Systemischen Therapie ist die Erkenntnis, dass bestimmte Probleme oder Symptome oft eine versteckte Funktion im System erfüllen. Zum Beispiel zeigt ein Jugendlicher auffälliges aggressives Verhalten in der Schule. In der Therapie stellt sich heraus, dass seine Eltern in einer schweren Ehekrise stecken. Die Aggressionen des Sohnes lenken (meist unbewusst) die Aufmerksamkeit der Eltern auf ihn und hindern sie daran, sich mit ihren eigenen Konflikten auseinanderzusetzen. Dem Jugendlichen selbst ist dieser Zusammenhang nicht bewusst, dennoch erfüllt sein Verhalten eine wichtige Rolle im Familiensystem.

Die Therapie hilft, solche verborgenen Muster und Funktionen zu erkennen und gemeinsam neue, gesündere Wege im Umgang miteinander zu entwickeln. Dabei wird gemeinsam erforscht, welche Personen im Leben der Betroffenen wichtig sind, wie die Beziehungen zwischen ihnen aussehen und welche Erwartungen, Rollen und Verhaltensweisen das System prägen.
 

Wichtige Grundideen der Systemischen Therapie

Die Systemische Therapie geht davon aus, dass Probleme im Zusammenspiel mit anderen Menschen entstehen und nicht nur im Einzelnen selbst. Beziehungen, Erwartungen und unausgesprochene Regeln prägen unser Erleben und Verhalten. Ein zentrales Ziel der Therapie ist es, diese Zusammenhänge verständlich zu machen und gemeinsam neue Wege im Umgang miteinander zu finden. Dabei gilt: Jeder Mensch hat Fähigkeiten und Stärken, um mit schwierigen Situationen umzugehen. Diese sogenannten Ressourcen werden gezielt in den Blick genommen und genutzt. Außerdem gibt es nicht die eine Wahrheit. Vielmehr existieren verschiedene Sichtweisen auf ein und dieselbe Situation.

Um diese unterschiedlichen Perspektiven erkennbar zu machen, nutzt die Systemische Therapie kreative Methoden. Dazu gehören zum Beispiel “zirkuläre Fragen”. Dabei wird gefragt, wie eine andere wichtige Person die Situation des Patienten wohl erleben oder bewerten würde. Das kann helfen, festgefahrene Denkweisen zu lösen und neue Blickwinkel zu entdecken. Auch Genogramme, also grafische Darstellungen von Familienbeziehungen über mehrere Generationen, oder Familienskulpturen, bei denen Personen räumlich so im Raum aufgestellt werden, wie sie zueinander stehen, machen Beziehungsdynamiken sichtbar. Ein weiterer wichtiger Gedanke dieser Therapieform ist, dass schon kleine Veränderungen an einer Stelle des Systems große Auswirkungen auf das ganze Beziehungsnetz haben können. Deshalb reichen kleine Veränderungen manchmal schon aus, um etwas im ganzen System in Bewegung zu bringen. (Illustration 2)
 

Chancen und Herausforderungen

Ein großer Vorteil der Systemischen Therapie ist der ganzheitliche Blick auf den Menschen in seinem Beziehungsnetz. Sie bezieht wichtige Bezugspersonen ein und hilft, Verständnis für unterschiedliche Sichtweisen zu entwickeln. Dadurch können Konflikte aufgelöst und Ressourcen besser genutzt werden.

Herausfordernd ist, dass die Beteiligten sich mit oft schmerzhaften Themen auseinandersetzen und vertraute Muster hinterfragen müssen. Es kann zudem herausfordernd sein, wenn in einer Familien- oder Gruppentherapie gleich mehrere Personen beteiligt sind, deren unterschiedliche Perspektiven berücksichtigt und mit Respekt behandelt werden müssen. Spannungen und Widerstände sind dabei normal. Der Therapieprozess lebt davon, behutsam Veränderungen anzustoßen und gemeinsam neue Möglichkeiten im Umgang miteinander zu entwickeln.

Quellen


  • Von Sydow, K. & Borst, U. (Hrsg.). (2018). Systemische Therapie in der Praxis. Beltz Verlagsgruppe
  • Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK). (2017, 27. Juli). Wirksamkeit der Systemischen Therapie in mehreren Störungsbereichen. https://www.bptk.de
  • therapie.de. (o. D.). Systemische Therapie – Überblick und Methodenwww.therapie.de/psyche/info/therapie/systemische-therapie/
  • Deutsche Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie e. V. (DGSF): "Was heißt systemisch?" unter: www.dgsf.org