Traumatherapie

Die Traumatherapie ist ein Sammelbegriff für verschiedene Ansätze, die Folgen von sog. Traumata zu behandeln. Ein Psychotrauma (‚trauma‘ von lat.: ‚Verletzung‘) ist die Folge einer schweren emotionalen Belastung durch entweder ein singuläres Ereignis (Unfall, Naturkatastrophen, Verbrechen, aber auch größere, medizinisch notwendige Operationen) oder das überdauernde Einwirken schwieriger Lebenssituationen, wie z. B. bei anhaltendem sexuellem Missbrauch, Krieg oder Gefangenschaft.

Anders als bei anderen Formen der Psychotherapie ist bei diesem Themenkreis die Ursache der Störung klar beschreibbar und in aller Regel dem Patienten genau bewusst. Nicht alle schweren Belastungen führen zu einer Traumatisierung! Einmal sind Menschen unterschiedlich belastbar, zum anderen ist die Situation kurz nach dem Ende der traumatischen Situation entscheidend für die Frage, ob ein Trauma verbleibt oder nicht.

Wichtig ist auch die Unterscheidung zwischen apersonalen Traumatisierungen (solche, die eine ganze Gruppe von Menschen gleichzeitig betreffen – Katastrophen und Unfälle) und personalen Traumatisierungen, die nur ein Opfer individuell betreffen, beispielsweise Überfälle oder Vergewaltigungen. Diese Traumatisierungen können ganz besonders Scham und Schuldgefühle wie auch Selbstanklagen auslösen.

Entstehung von Traumata: Zentral für die Entstehung von Traumata ist die fehlende Entlastung nach dem Trauma. Peter Levine, einer der führenden Forscher im Bereich der Traumatologie weist darauf hin, dass es wichtig ist, dass die Menschen getröstet werden, menschliche Nähe erfahren und ihnen erlaubt wird, die körperliche Entlastung, das typische Zittern des Körpers nach starker Erregung, zugelassen wird.

Zentral für die Ausbildung von Traumata ist das Einwirken von Angst über einen langen Zeitraum, in der Regel verknüpft mit der Erfahrung von völliger Hilflosigkeit. Dies erschüttert das Selbstvertrauen des Menschen und auch das Vertrauen in andere Menschen (besonders bei Missbrauch und Gewalt). Wenn in dieser Weise die normalen Spielregeln der Welt nicht mehr zu gelten scheinen, entsteht ein Gefühl der überdauernden Entfremdung und ein Gefühl tiefen Ärgers über die Ungerechtigkeit der Welt und des Lebens überhaupt. Oft wird den Opfern von Gewalt, insbesondere bei sexualisierter Gewalt, suggeriert, sie selbst seien schuld daran, dass die Situation überhaupt entsteht. Dann reagiert das Opfer mit einem tiefen Gefühl von überdauernder Scham und Selbstverurteilung. Auch eine tief empfundene Trauer kann ein bestimmender Teil dieser Gefühle sein.

Die häufigsten Konsequenzen einer solchen Traumatisierung sind eine stark erhöhte Ängstlichkeit, oft verbunden mit einem Rückzug aus sozialen Kontakten. Dann entsteht auch eine starke Selbstablehnung, eine tiefe Scham. Das Opfer ist (manchmal zu Recht) der Meinung, dass andere Menschen keine Einfühlung haben können oder auch nicht haben wollen.

All dies führt regelmäßig dazu das Opfer, die an einer chronifizierten posttraumatischen Störung leiden (PTBS), meist Schwierigkeiten haben, sich in normalen sozialen Situationen sicher zu verhalten und im Berufsleben klar zu kommen. Unterbrochene Schul- und Berufskarrieren sind typisch für solche Menschen.

Manche Menschen die in dieser Weise von PTBS betroffen sind, reagieren so extrem, dass sie auch Gefahr laufen, zwangsweise in die Psychiatrie eingeliefert zu werden. Die dabei oft erfahrene zwangsweise Ruhigstellung sowie die soziale Stigmatisierung vertieft die Traumatisierung.

Häufig, aber keineswegs immer, kommt es auch zu der Erfahrung von sog. flash-backs. Das bedeutet, dass der Patient immer wieder, unkontrollierbar, von Erinnerungen, die geradezu wie eine Halluzination oder eine wahnhafte Erfahrung, das Denken und Fühlen des Menschen überfluten mit Gefühlen und bildhaften Eindrücken im Zusammenhang mit der traumatisierenden Situation. Auch Geschmack und Geruch sind häufig Teil dieser Erfahrung und können solche flash-backs auslösen, genauso wie Musik, Geräusch oder besondere soziale Situationen, etwa Einsamkeit oder enge Räume, etc.

Diagnostik

Folgende Kriterien weisen auf das Vorliegen einer traumatischen Störung hin:

  • Der Betroffene kann ein belastendes Ereignis klar benennen bzw. es gibt Hinweise auf besondere, ungewöhnliche Umstände in der Biographie des Menschen, die nicht klar erinnert werden, aber von starker Emotion begleitet wird.
  • Der Betroffene leidet an flash-backs, hat Albträume und ist in seinen Gedanken und Erinnerungen immer wieder mit dem auslösenden Ereignis befasst.
  • Der Betroffene vermeidet Situationen, Orte oder auch Menschen, die mit den auslösenden Umständen in Verbindung stehen.
  • Der Betroffene leidet an Schlafstörungen und/oder Konzentrationsstörungen. Manchmal treten auch Essstörungen und/oder der Konsum bewusstseinsverändernder Drogen (Alkohol, illegale Drogen) in Sinne einer Selbstmedikation auf. Immer aber sind ein hohes Erregungsniveau und infolgedessen auch Irritierbarkeit, Misstrauen, überhöhte Kränkbarkeit und labile, überschießende Emotionen typisch.
  • Die Symptomatik dauert länger als vier bis sechs Wochen an. Symptome von unaufgelöster Traumatisierung können auch unverhofft nach vielen Jahren (wieder) auftreten, zumeist ausgelöst durch analog erlebte Gefühle bzw. Situationen, die mit der auslösenden Situation in Verbindung stehen. Aufgrund des langen zeitlichen Abstands zwischen jetzt und der vergangenen Situation ist es für den Betroffenen oft nicht leicht, den Zusammenhang richtig einzuordnen. 

Zumeist sind nur einzelne Aspekte dieser Aufzählung bei einem Betroffenen klar erkennbar. Die genaue Diagnose sollte einem erfahrenden Fachmann überlassen werden. Wenn jemand Grund zu der Annahme hat, selbst an den Folgen einer Traumatisierung zu leiden, aber sich nicht sicher ist, ist es in jedem Fall sinnvoll, eine psychotherapeutische Sprechstunde in Anspruch zu nehmen, um diese Frage abklären zu lassen.

Behandlung

Je schneller das Opfer einer Traumatisierung einer kompetenten Behandlung durch einen Fachmann zugeführt wird, desto geringer die Gefahr einer Chronifizierung. Aber jede positive, einfühlende, menschliche Anteilnahme ist hilfreich.

Es gibt einen Ansatz der Behandlung von akuten Traumata, etwa nach Unfällen oder größeren Katastrophen, genannt ‚debriefing‘. Dies dient in der Regel nur zur sog. Erstversorgung von Opfern.

Es gibt umfassendere Ansätze der Behandlung von Trauma-Opfern. Die meisten Ansätze sind eine Zusammenstellung von unterschiedlichsten Techniken aus unterschiedlichen Therapeutischen Traditionen. Psychotraumatologie (Die Wissenschaft über die Entstehung von Traumata) ist eine sehr neue Fachrichtung der Psychotherapie und daher ist das Feld ständig in Bewegung, werden neue Therapie erforscht und angewandt.

Im Wesentlichen gliedert sich eine Traumatherapie in 3 typische Phasen:

Stabilisierungsphase

In der Stabilisierungsphase geht es darum, dem Betroffenen ein Gefühl der Sicherheit und der Geborgenheit in der Welt (wieder-) zu vermitteln. Zentral dabei ist der Aufbau einer tragfähigen therapeutischen Bindung. Je nach Art des Traumas und der Persönlichkeit des Betroffenen ist dies u. U. ein langwieriger und schwieriger Prozess. Ein weiterer wichtiger Bestandteil dieser Phase ist die Vermittlung von Informationen über Trauma und den Einfluss, den Trauma auf das Erleben und Verhalten von Betroffenen hat, damit diese das Gefühl von Entfremdung und Unverständnis für die eigenen Gefühle und Verhaltensweisen überwinden können.

Dann ist die Vermittlung der Fähigkeit, sich wieder entspannen zu können und so wieder Kontrolle über die eigenen Gedanken und Gefühle zu erreichen, ebenfalls ein wichtiger Teil der Behandlung. Dazu werden Entspannungstechniken und imaginative Verfahren eingesetzt. Oft wird mit dem Betroffenen nach einem inneren Bild, einer Vorstellung dessen gesucht, was für diesen ein „Sicherer Ort“ ist. In dieses Vorstellungsbild (Imagination/Tagtraum) kann sich der Betroffene zurückziehen, wenn er/sie subjektiv psychisch zu destabilisieren droht oder von Gefühlen und Bildern (flash-back) überflutet wird.

Eine therapeutische Grundregel ist, dass in dieser Phase das Trauma selbst nicht konkret angesprochen wird, es sei denn, der Betroffene möchte das gerne.

Nicht selten müssen bei Traumata im Zusammenhang mit sexualisierter Gewalt, Missbrauch und Vergewaltigung auch soziale Probleme oder Konflikte innerhalb der Familie besprochen und behandelt werden. Dann kommen alle Aspekte der Familientherapie zum Tragen. Auch die Behandlung von selbstverletzendem Verhalten, von Suchtmittelkonsum und Essstörungen kann ein ganz zentraler Fokus dieser Phase sein.

Traumabearbeitungsphase

In dieser Phase wird die emotionale Verknüpfung zwischen der aktuellen Befindlichkeit und den Gefühlen und Bildern aus der Traumaerfahrung behandelt. Es wird sozusagen eine Art „Entgiftung“, eine „Löschung“ dieser Verknüpfung angestrebt. Zur Veranschaulichung sei folgendes Beispiel beschrieben: Jeder Mensch macht sicher in seinem Leben die Erfahrung von peinlichen Situationen etwa durch einen Versprecher oder ein Missgeschick. Jeder kennt es, wie schmerzlich sich die Erinnerung an diese Situation noch Tage und Wochen später anfühlen kann. Irgendwann vergeht dieses Gefühl aber. Wird man dann viel später im Kreise von Freunden an diese „lustige“ Geschichte erinnert, dann kann man sich sicher genau an jedes Detail dieser Situation erinnern, auch an die eigenen Gefühle, aber diese Gefühle sind dann im Hier und Jetzt, in der fröhlichen Runde der Freunde, die genüsslich diese Geschichte ausgraben nicht mehr aktuell und man kann zusammen mit den Freunden herzlich lachen. Das ist genau der Prozess der Entkopplung, der Löschung von aktuellem Gefühl und Erinnerung, die in der Traumatherapie erzielt werden soll, nur mit dem Unterschied, das es nicht um eine lustige Geschichte geht und am Ende auch niemand lachen muss.

Die z. Z. am häufigsten eingesetzte Techniken, um diese Entkopplung bzw. Löschung zu erzielen ist die sog. EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing) und das EMI (Eye Movement Integration). Andere Ansätze arbeiten über imaginative Techniken, Psychodrama, und auch körperorientierte Ansätze, die auf der Bioenergetik basieren, kommen zum Einsatz. All diese Techniken werden aktuell intensiv erforscht und ständig überarbeitet und verbessert.

Integrationsphase

In der Integrationsphase geht es um die Einordung dieser Erfahrungen in den Alltag des Patienten und die Verfestigung und weitere Stabilisierung. Manches Mal gilt es, soziale Probleme zu überwinden, oft müssen auch die Partnerschaften und Freundschaften des Betroffenen neu geordnet werden. Ein sehr wesentlicher Teil ist auch Trauerarbeit und der Aufbau von Ressourcen, beispielsweise durch die Entwicklung von Freundschaften und Hobbies. Auch die Entwicklung von kreativen Fähigkeiten als Teil von neuem Selbstwert kann ein wichtiger Bestandteil dieser Phase sein. Auch hier ist Familien- und Paartherapie ein wichtiger Bestandteil. An diesem Punkt ähnelt die Traumatherapie dann den anderen klassischen Therapieformen sehr stark.

Natürlich sind in einer konkreten Therapie diese Phasen nicht säuberlich voneinander getrennt, sondern gehen ineinander über. Manche Phasen wiederholen sich und vertiefen sich in einen fließenden Prozess, manchmal sogar innerhalb einer einzigen Therapiesitzung.

Dauer

Zwischen wenigen Sitzungen bis hin zu einigen Jahren.